Gedanken zum Ukraine-Konflikt I
Ich habe lange überlegt, ob ich etwas zu dem Konflikt in der Ukraine schreiben sollte. Nach den Ereignissen der letzten Tage ist es mir aber jetzt ein Bedürfnis meine Gedanken dazu mitzuteilen. Dabei will ich aber heute nicht die aktuellen kriegerischen kommentieren, sondern den Blick darauf wenden, wie es aus meiner Sicht zu dieser Situation einer eklatanten Verletzung des Völkerrechts kommen konnte. Hierzu bedurfte es mehrerer Akteure, und diese sind nicht ausschließlich im System Putin zu finden.
Bevor ich die russische Seite betrachte, möchte ich auf die Akteure schauen, die durch ihre Handlungen aus meiner Sicht dazu geführt haben, dass die russische Führung, allen voran Putin, geschlossen haben, dass sie sich das aktuelle Vorgehen erlauben können. Dabei müssen wir zunächst einmal auf das schauen, was wir selbst dazu beigetragen haben. Danach wird der Blick auf die EU und die USA gerichtet, bevor zum Abschluss der Blick auf Putin und die russische Staatsführung fällt.
In Deutschland haben sich Teile schon lange gegen die Integration in westliche Bündnisse gewendet und eine Nähe zu Russland gesucht. Diese Kräfte sind bekannt und wurden zuletzt durch unseren ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder, der zum Lobbyisten Putins geworden ist, in der Meinungsmache verstärkt. Auf der anderen Seite sind national-populistische Kräfte stark geworden, die den Multilateralismus, auf dem die Sicherheitsarchitektur Deutschlands, Europas und der Welt, nicht verstanden haben. In einer Arroganz der Selbstüberschätzung wurde diese Sicherheitsarchitektur sowie die Grundlagen unserer demokratischen Werte in Frage gestellt. Dies gepaart mit nationalsozialistischen bzw. faschistischem Gedankengut stellte die deutsche Politik als eine Politik der Schwäche dar und will das Handeln der deutschen Politik auf das „deutsche Volk“ reduzieren.
Getrieben von rein wirtschaftlichem Nutzendenken nahm die Solidarität gegenüber anderen Menschen, anderen Nationen immer weiter ab, genau wie das Verständnis für die Komplexität der europäischen Sicherheitsarchitektur. Aber auch die regierenden Parteien, vor allem das Agieren mancher Länderregierungen, die an der Bundesregierung vorbei eine Art „Wirtschafts- und Außenpolitik“ betrieben haben, sowie der, der EU entgegengesetzten, Haltung der alten Bundesregierung im Punkt Nordstream II, vermittelte den Eindruck, dass sich Deutschland von der europäischen Solidarität verabschiedet hatte und die EU somit geschwächt ist und nicht mehr geschlossen auftritt.
Auf europäischer Ebene war in den letzten Jahren ebenfalls ein Erstarken nationaler und rechtspopulistischer Kräfte zu erleben. Internationale Solidarität wurde zugunsten nationaler Interessen aufgekündigt, und ein Kosten-Nutzendenken, das sich auf rein direkt messbarer Finanzströme reduziert, ist bereits seit Maggie Thatcher bekannt. Neben dem Brexit führte das nun zu Vertragsverletzungen durch einige Mitgliedsländer. Die unterschiedlichen Auffassungen in der Flüchtlingsfrage sowie populistische Agitation gegen Flüchtlinge ließ Sollbruchstellen der EU erkennen, an denen man im Rahmen einer hybriden Kriegsführung, siehe z.B. die Flüchtlingssituation an der Belarussisch-Polnischen Grenze, ansetzen kann.
International ist sicherlich die Regierungszeit Trumps, in der die USA als Garant europäischer Sicherheit fragwürdig wurde und Multilateralismus zu Gunsten von unilateralem Vorgehen oder Bilateralismus aufgegeben. Dies führte dann unter anderem zu einem überstürzten Abzug aus Afghanistan. Der demokratische Westen insgesamt schien nur noch schwach zu sein.
Die Vereinten Nationen selbst sind ein Konstrukt, das keine eigenen Machtmittel hat und wurde durch den Rückzug der USA aus dem Multilateralismus noch einmal deutlich geschwächt. Diktatorische bzw. autokratische Systeme wie China und Russland haben dies zur Kenntnis genommen. Gerade aus China konnte man mitbekommen, dass die UN eher belächelt als ernstgenommen wird. Ganz offensichtlich haben die liberalen Demokratien und die Weltgemeinschaft insgesamt ein Bild abgegeben, das Autokraten, Despoten und Diktaturen geradezu einlädt, völkerrechtswidrige Ziele, soweit man sie hat, umzusetzen. Schaut man nun auf die russische Staatsführung, also eigentlich auf das System Putin, so wurde dort diese Schwäche wahrgenommen und willkommen geheißen. Sukzessive wurde versucht, m Westen und in den als schwach empfundenen Demokratien die öffentliche Meinung zu beeinflussen und populistische Kräfte, die demokratiefeindlich sind, zu unterstützen. So sollte die demokratische Widerstandsfähigkeit ausgehöhlt und Unterstützung für die russischen Positionen gewonnen werden. Letztlich lief dann alles auf den Showdown hinaus, den wir jetzt erleben.