Warum die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und das Sondervermögen Bundeswehr richtig ist

25/03/2022 Aus Von Jan Kirchdörfer

Seit über einem Monat tobt nun der Krieg in der Ukraine. Ein Krieg in Europa, geführt von einer Atommacht gegen seinen Nachbarn, der im Vertrauen auf die erhaltenen Sicherheitsversprechen seine Atomwaffen abgegeben hat. Ein Krieg in Europa, dessen Ziel die Unterdrückung des Selbstbestimmungsrechts, die Beseitigung der Freiheit und Demokratie ist. Ein Krieg, wie in Russland bereits gegen Tschetschenien geführt hat, den wir aber aufgrund der Entfernung wunderbar aus unserer Wahrnehmung ausblenden konnten. Ein Krieg, den wir bereits bei der Besetzung der Krim hätten verhindern müssen, es aber nur halbherzig getan haben.

Nach dem Beginn dieses Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine hat sich die Bundesregierung entschieden, für Sicherheit und Verteidigung ein Sondervermögen in Höhe von hundert Milliarden Euro bereitzustellen und den Verteidigungshaushalt dauerhaft zu erhöhen. Wie eigentlich fast nicht anders zu erwarten, melden sich jetzt die Stimmen, die die Notwendigkeit der Maßnahmen bestreiten. Aktuell sammeln sich diese Stimmen hinter dem Appell „HET BOЙHE – Nein zum Krieg!“. Auf die dort angeführten Argumente gehe ich im Folgenden ein und zeige auf, dass sie nicht stichhaltig sind, der Appell daher in eine falsche Richtung geht und seine Umsetzung – aus meiner Sicht – genau das Gegenteil bewirken würde.

1. „Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht. Die neu anzuschaffenden Waffen werden die Ukrainer:innen in ihrem Kampf und Recht auf Selbstverteidigung nicht unterstützen.“

Es handelt sich bei den beschlossenen Maßnahmen (Sondervermögen und Erhöhung des Verteidigungshaushaltes) weder um Hochrüstung noch um Maßnahmen, die die Ukrainer:innen in ihrem Kampf zu unterstützen, sondern um notwendige Mittel, die längst überfällige Modernisierung der Bundeswehr zu ermöglichen. Der Schützenpanzer Marder feierte unlängst seinen 50 Geburtstag in der Truppe, der Tornado fliegt bereits doppelt so lange wie es eigentlich vorgesehen war. Der Transporthubschrauber entspricht schon lange nicht mehr dem Stand der Technik und ist eigentlich nicht mehr einsetzbar. Der notwendige Ersatz wurde lange verzögert und so stehen wir jetzt einer potenziellen Bedrohung unserer Freiheit und Demokratie gegenüber, ohne die entsprechende Ausrüstung zu besitzen. Die Munitionsbestände der Bundeswehr erlauben mittlerweile kaum noch eine kontinuierliche Schießausbildung, es fehlt persönliche Ausrüstung (Splitterschutzwesten, Gefechtshelme, Bekleidung) überall. Wir sprechen also von Ausrüstung, nicht von Auf- bzw. Hochrüstung. Und natürlich kann Geld, das zunächst einmal in die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit fließen muss, nicht den Ukrainer:innen bei ihrem Kampf helfen. Dafür ist es auch nicht vorgesehen.

2. „Schon jetzt übersteigen die »Verteidigungs­ausgaben« aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache.“

Betrachtet man die Ausgaben lediglich in absoluter Höhe, so trifft das sicherlich zu. Dies ist allerdings ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen. Zunächst einmal ist der größte Posten der Verteidigungsausgaben der NATO die Ausgaben der USA. Diese sind jedoch nicht nur gegen den potentiellen Aggressor Russland gerichtet, sondern decken die Einsätze der US Armee weltweit ab. Sie dürfen daher in dieser Form nur zu einem geringen Teil eingerechnet werden. Als nächstes ist der russische Verteidigungshaushalt nicht vergleichbar. Der Sold der Soldaten ist deutlich niedriger, es gibt versteckte Militärausgaben in anderen Haushaltspositionen, Rüstungskäufe werden bei staatseigenen Unternehmen getätigt, womit sowohl die Beschaffungs- als auch die Instandhaltungskosten gegenüber einer marktwirtschaftlichen Beschaffung deutlich niedriger abgebildet werden können. Während die NATO-Staaten bei ihrem Equipment auch immer die Sicherheit der Soldaten im Auge haben, haben sich die Militärdoktrin Russlands gegenüber denen des ehemaligen Warschauer Paktes nicht wesentlich geändert. Soldaten sind dort „Mengenverbrauchsgüter“, d.h. Masse geht vor Schutz. Wollten wir also auf die höheren Kosten aufgrund der Schutzfunktionen der Ausrüstung verzichten, bedeutet dies in einem Einsatz, aber auch schon bei Übungen, das mehr verletzte oder getötete Soldaten der Bundeswehr zu beklagen wären.

3. „Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militär­blöcken ist sinnlos.“

Kriegerische Auseinandersetzungen laufen unterhalb der nuklearen Schwelle. Der Einsatz nuklearer Waffen der einen Seite bedeutet – aufgrund der Zweitschlagfähigkeit – immer auch die eigene Zerstörung. Von daher ist die konventionelle Kampf- bzw. Verteidigungsfähigkeit nach wie vor eine Grundvoraussetzung für die Freiheit und Sicherheit des eigenen Landes. Oder anders ausgedrückt, der Verzicht auf geeignete konventionelle Verteidigungsfähigkeit erhöht die Gefahr, die eigene Freiheit zu verlieren, da man sich einem konventionellen Angriff nicht entgegenstellen kann. Man kann sich auch Fragen, ob denn die USA bereit wären, z.B. bei einem russischen Einmarsch in Estland, Litauen, Lettland nukleare Waffen einzusetzen.

4. „Die NATO-Länder und auch Deutschland haben schon vor 2014, das heißt lange bevor es den Ukraine­konflikt gab, begonnen, ihre Rüstungs­ausgaben deutlich zu steigern.“

Die Aussage ist komplett falsch. Wie die nachfolgende Grafik zeigt, hat sich der Anteil der Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland gemessen am BIP über einen sehr langen Zeitraum verringert und – abgesehen von 2009 als das BIP aufgrund der Finanzkrise schrumpfte – erst seit 2016/17 langsam wieder erhöht. Dies war eine Folge des Versprechens, die Verteidigungsausgaben längerfristig wieder auf den 2%-Anteil zu heben. Selbst unter Friedenskanzler Willy Brandt betrugen die Verteidigungsausgaben rund 3,6% gemessen am BIP.

Von JB-Firefox – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70780418

5. „Teile der Hochrüstungs­pläne finden sich schon im Koalitions­vertrag, weit vor den ersten Warnungen vor einer bevorstehenden russischen Invasion.“

Zunächst einmal erneut, es geht nicht um Hochrüstung, sondern um Ausrüstung. Es ist richtig, dass die Beschaffung von Kampfdrohnen schon länger, spätestens seit dem Georgienkrieg und kurz darauf der Besetzung der Krim in der Diskussion waren. Allerdings wurden zunächst nur Aufklärungsdrohnen beschafft und im Jahr 2018 dann die Haushaltsmittel zur Anmietung von fünf Kampfdrohnen bereitgestellt. Eine Beschaffung von eigenen Kampfdrohnen war bereits in der letzten Regierungskoalition ein Diskussionsthema und scheiterte an der Haltung der SPD. Zu dem Zeitpunkt, als der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition verhandelt wurde, gab es bereits die erste Drohkulisse Russlands gegenüber der Ukraine, denn bereits im März-April 2021 hatte Russland das erste Mal rund 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Diese wurden danach auch nur zum Teil wieder abgezogen. Die Drohung des Angriffs war also schon zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen durch aus real existent.

6. „Dieser Krieg und die fürchterlichen Bilder der Toten und Zerstörungen in der Ukraine können jedoch eine radikale Kursänderung in der deutschen Außenpolitik und die höchste Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg – gar durch eine Grundgesetz­änderung – nicht rechtfertigen.“

Bundeskanzler Scholz sprach völlig richtig von einer Zeitenwende. Die Zeiten, in denen die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zwar überall mitreden wollte, der Schutz und die Durchsetzung aber anderen überlassen wurde, sind vorbei. Auch wenn in den USA aktuell mit Joe Biden jr. ein Präsident im Amt ist, der für uns wieder zuverlässiger ist als sein Vorgänger, so ist es an der Zeit, dass Deutschland und Europa sich in die Lage versetzt, auch ohne die Unterstützung der Amerikaner, seine Sicherheit und Freiheit zu gewährleisten. Des Weiteren, und das sehen wir auch an den entsprechenden Gegenstimmen und Enthaltungen zu den UN-Resolutionen gegen den Krieg in der Ukraine, hat sich die Welt wieder in zwei Blöcke aufgeteilt. Der eine Block besteht aus den Diktaturen und Autokratien, der andere aus den freiheitlich-demokratischen Ländern. Wir hatten lange gehofft und geglaubt, dass sich dieses Blockdenken durch das Prinzip „Wandel durch Handel“ überwinden lässt. Dieses Prinzip ist aber, wie uns der aktuelle Krieg und die Politik Russlands unter Wladimir Putin deutlich zeigt (und das schon seit dem Tschetschenien-Krieg, also vor seiner Rede im Deutschen Bundestag 2001) gescheitert.
Ob die Ausgabensteigerung tatsächlich die höchste Steigerung seit dem zweiten Weltkrieg ist, bleibt letztlich davon abhängig, wie das Sondervermögen abfließt, also wann es verwendet wird. In obiger Grafik kann man sehen, dass es in den sechziger und Anfang siebziger Jahren durchaus auch schon außergewöhnliche Anstiege gegeben hat. Ob diese in der Form übertroffen werden, lässt sich erst im Nachhinein feststellen.

7. „Eine solche Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad, mit entsprechend dramatischen Folgen auch für die Innenpolitik – für den Sozialstaat, für Liberalität und Mitmenschlichkeit – ganz ohne breite gesellschaftliche Debatte, ohne parlamentarische, ja sogar ganz ohne innerparteiliche Debatte zu beschließen, wäre ein demokratiepolitischer Skandal.“

Zunächst einmal ist diese „Wende der deutschen Außenpolitik“ durch den Angriffskrieg Russlands angestoßen. Es handelt sich daher um eine Reaktion auf eine tiefgreifende Umwälzung der bisherigen außenpolitischen Rahmenbedingungen. In unserer parlamentarischen Demokratie wählen wir unsere Abgeordneten, damit sie auf bei den Anforderungen, die auf die politische Führung unseres Landes einwirken, unsere Stimme im Parlament vertreten. Dies ist unmittelbar nach der Regierungserklärung von Olaf Scholz zum Angriffskrieg bei der Sondersitzung des Bundestages geschehen. Weitere Diskussionen hierzu werden natürlich in der Haushaltsdebatte, im Verteidigungsausschuss, im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten etc. geführt. Dafür haben wir unsere gewählten Vertreter. Nebenbei bemerkt trifft diese Wende, wenn man sich entsprechende Umfragen anschaut, auf breite Zustimmung in der Bevölkerung. Der angebliche „demokratiepolitische Skandal“, der hier behauptet wird, ist also kein Skandal.

8. „Zukünftig sollen dann dauerhaft 2% des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgeben werden.“

Kurze Antwort: Ja, das wurde bereits durch den damaligen Außenminister Steinmeier gegenüber den NATO-Partnern versprochen. Die Zeitmarke der Zielerreichung wurde lediglich um zwei Jahre (2022 anstelle von 2024) nach vorne geschoben. Dieses ist allerdings bei den sich geänderten außenpolitischen Rahmenbedingungen und der veralteten bzw. fehlenden Ausrüstung dringend notwendig. Allein um die Munitionsbestände, die für eine vernünftige Schießausbildung zwingend erforderlich sind, auf den notwendigen Stand zu bringen, sind nach Berechnungen ca. zwanzig Milliarden Euro notwendig. Ebenso fehlt persönliche Ausrüstung zum Schutz der Soldaten in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Diese dringend notwendigen Beschaffungen sind im Sondervermögen überhaupt nicht eingepreist. Die dauerhafte Erhöhung des Verteidigungshaushaltes ist daher dringend geboten, wenn die Bundeswehr vernünftig ausgerüstet und ausgebildet sein soll. Dieses ist auch vor dem Hintergrund, dass die Bundesrepublik erster Truppensteller, immerhin 5.000 Soldaten, für die EU-Eingreiftruppe, die im Rahmen der Annahme des Strategischen Kompasses beschlossen wurde, sein wird.

9. „Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten.“

Auch wenn es ständig wiederholt wird, wird es dadurch nicht richtig. Weder bei dem Sondervermögen noch bei der Erhöhung des Verteidigungsetats handelt es sich um Hochrüstung oder Aufrüstung, sondern lediglich um die Sicherstellung einer zeitgemäßen, modernen Ausrüstung. Auch steht der Beschluss nicht im Zusammenhang mit dem Wunsch, das Sterben in der Ukraine zu beenden. Letzteres können wir nicht militärisch, ohne die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf NATO-Gebiet in Kauf zu nehmen. Das Sondervermögen und die Erhöhung der Verteidigungsausgaben sorgen jedoch sehr wohl für eine friedlichere Welt. Die Welt hat erneut in eine Blockbildung erlebt, den Block der liberalen, demokratischen Staaten auf der einen Seite und den Block der Staaten, die diktatorisch oder autokratisch geführt werden. Gerade der russische Angriffskrieg hat uns doch vor Augen geführt, dass die Verteidigungsfähigkeit eine Grundlage für die Friedensdiplomatie zwischen diesen Blöcken ist. Wenn wir also eine friedliche Zukunft haben wollen, müssen wir sowohl von der Ausrüstung als auch von der Bereitschaft her bereit sein, unsere Freiheit, unsere Demokratie, unsere Werte ggf. mit Waffen zu verteidigen. Der Krieg in der Ukraine zeigt uns sehr deutlich, dass Diktatoren und Autokraten sich nur dann davon abhalten lassen, sich etwas mit Gewalt zu nehmen, wenn sie die Befürchtung haben müssen, dass sie sich eine blutige Nase holen werden. Nur dann kann man mit ihnen über friedliche Lösungen für eventuelle Konflikte diskutieren und verhandeln. Wir müssen also diesen Weg gehen, wenn wir eine Zukunft haben wollen, die diesen Namen auch verdient.