Zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine

29/04/2022 Aus Von Jan Kirchdörfer

In der Bundestagssitzung am 28.04.2022 beschloss das deutsche Parlament mit sehr großer Mehrheit auch die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zu ermöglichen. Nachdem zu Beginn des Krieges in der Ukraine dieses noch von der Bundesregierung ausgeschlossen wurde, wird damit nun der nächste Schritt getan, der Ukraine die Möglichkeit zur erfolgreichen Abwehr der russischen Invasion zu geben. Dabei geht es jedoch nicht darum, der Ukraine zu einem „vernichtenden“ Erfolg zu verhelfen oder gar einen Stellvertreterkrieg zu führen, sondern klar und deutlich aufzuzeigen, dass der Einsatz militärischer Mittel gegen ein demokratisches Land zur Durchsetzung von politischen Zielen keine Erfolgsaussichten hat.

Seit Beginn des aktuellen Krieges in der Ukraine gibt es durchaus viele Stimmen, die fordern auf Waffenlieferungen in jeglicher Art zu verzichten und jegliche Hoffnungen auf diplomatische Verhandlungen setzen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, zu vermeiden, dass der Ukrainekrieg sich zu einem Dritten Weltkrieg ausweitet oder Deutschland und die NATO in diesen Krieg hineingezogen werden könnten. Sie verfolgen dabei häufig den Ansatz eines Appeasement gegenüber Russland, in dem sie auch immer wieder die russischen Sicherheitsinteressen in den Vordergrund stellen. Zusätzlich wird dies durch Drohungen der russischen Führung, dass Waffenlieferungen als Kriegshandlungen betrachtet werden und entsprechende Reaktionen nach sich ziehen, befeuert.

Ich persönlich halte die deutschen Waffenlieferungen, auch die der sogenannten schweren Waffen, an die Ukraine aus mehreren Gründen für richtig. Dabei ist jedoch, gerade um den Krieg nicht von einem Regionalkonflikt zu einem Weltkrieg eskalieren zu lassen, wichtig, dass NATO-Truppen nicht auf ukrainischem Gebiet, also außerhalb des Bündnisgebietes aktiv werden und somit faktisch Kriegsteilnehmer werden, ohne angegriffen worden zu sein.

Das wichtigste Argument dabei ist, dass es im Rahmen der Koexistenz nicht das Recht des militärisch Stärkeren geben darf. Die Sprache der Diplomatie ist das Mittel, das Konflikte lösen muss, nicht die Sprache des Krieges oder die Drohungen mit Krieg bzw. dessen Ausweitung. Gerade letzteres versucht den eigenen Willen durchzusetzen, in dem es Ängste schürt und sich so Zugeständnisse erhofft. Dabei ist uns aus der Geschichte bekannt, dass Appeasement und Nachgeben nur dazu führen, dass die Forderungen immer größer werden und letztlich dann doch der Moment kommt, an dem man dagegenhalten muss. Damit man dagegenhalten kann, benötigt man jedoch die Mittel zu zeigen, dass es keinen militärischen Erfolg geben wird, dass sich der militärisch stärkere nicht einfach nehmen kann, was ihm beliebt. Diese Mittel benötigt die Ukraine und daher ist die Unterstützung auch mit schweren Waffen richtig.

Das zweite Argument, und das erscheint vielen zunächst einmal irrational, ist, dass Waffenlieferungen jetzt aufzeigen, dass Putin mit seiner militärischen Aggression keinen Erfolg haben wird, bzw. dass wir nicht zulassen werden, dass er Erfolg hat, die Chancen auf ein schnelles Ende der Kampfhandlungen und der Rückkehr zur Diplomatie erhöhen. Die Logik dahinter ist, dass, je früher Putin erkennen kann, dass die Ukraine massiv unterstützt wird und daher nicht militärisch von der russischen Armee besiegt werden kann, der Preis für den Krieg also extrem hoch wird ohne dass ein Erfolg herausspringt, desto eher beendet er seine Aggression und zieht seine Truppen aus der Ukraine ab. Liefert man keine Waffen und ist das russische Militär erfolgreich, wird es einen jahrelangen Partisanenkrieg der Ukrainer gegen die Besatzer geben, dessen Blutzoll um ein Vielfaches höher liegt, als die entschiedene Gegenwehr mit entsprechenden Waffen jetzt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass – sowie es General Minekajew und der Putinvertraute Medwedew ja bereits gesagt haben – nicht nur die Ukraine in ihrer Staatlichkeit und Souveränität durch Russland in Frage gestellt wird, sondern auch Moldawien, Georgien und weitere Staaten. Stoppt man Putin nicht jetzt, wird er seinen imperialistischen Kurs weiterverfolgen und der Kriegszustand in Europa wird ein Dauerzustand.

Das dritte und vermutlich persönlichste Argument ist, dass wir uns nicht einschüchtern lassen dürfen. Putin und Lawrow spielen mit unseren Ängsten vor einem erneuten Weltkrieg, der aufgrund des Atompotentials, in seinen Ausmaßen auf beiden Seiten zerstörte Landschaften, die auf Jahre unbewohnbar wären, hinterließe. Es ist aber so, dass diese Angst nicht nur wir haben und nicht nur Europa in dieser Form betroffen wäre. Es blieben weder Europa noch Russland übrig, während die USA, also die Macht, von der sich Putin laut eigenen Aussagen bedroht fühlt, vermutlich deutlich weniger betroffen wäre. Putin ist nicht irrational oder selbstzerstörerisch, er hat also gar kein Interesse daran, einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen, den er konventionell niemals gewinnen kann und nuklear Russland und ihn genauso auslöscht wie Europa. Selbst der Einsatz von sogenannten taktischen Nuklearwaffen, als Atombomben mit geringer Zerstörungskraft, um die Ukraine in die Knie zu zwingen, verbietet sich für ihn in seiner eigenen Logik. Denn ein, wenn auch begrenzter, Ersteinsatz von Nuklearwaffen ließe ihn selbst in den Augen der Länder, die noch neutral zu Russland stehen und skeptisch gegenüber dem Westen eingestellt sind, zum Terroristen- bzw. Pariastaat werden lassen. Aus der dann erlangten Isolation gäbe es für Russland keinen Weg zurück in die Weltgemeinschaft ohne massiv Zugeständnisse zu machen. Russlands Platz in der Welt wäre dann der, der nicht einer Welt- oder Großmacht entspricht, sondern maximal entsprechend seiner Wirtschaftskraft, die dann, durch die langjährige Sanktionen und der Isolation, vermutlich der eines Entwicklungsstaates entspräche.

Der schnelle Weg zurück zur Sprache der Diplomatie, zurück zur friedlichen Koexistenz der Länder Europas führt für mich daher also nur über die Lieferung von Waffen an die Ukraine. Wie schnell er ist, diese Entscheidung wird allerdings in Moskau getroffen. Die Welt wird sich dann allerdings überlegen müssen, welche Garantien sie von Russland verlangen wird, damit sie sicherstellen kann, dass ihnen nicht erneut einfach ins Gesicht gelogen wird.